Das deutsche Fernsehpublikum war gerührt: Der große Schlagerbarde der Nachkriegszeit war 1983 für die Fernseh-Doku "Freddy Quinn – das erstaunliche Leben des Jungen von St. Pauli" nach Amerika gereist, wo er ein Kamerateam in ein Dorf in West Virginia führte. Dort, so hieß es, habe er einst seinen Vater wiedergefunden; hier habe er bei diesem gelebt. Man muss die Chuzpe und schauspielerische Darbietung Freddy Quinns geradezu bewundern, denn in Wirklichkeit befand er sich zum allerersten Mal in seinem Leben an diesem Ort, die Geschichte war erfunden. Seinen Vater hat er nie kennengelernt.

Die Zweifel an der fantastischen Biografie des Unterhaltungskünstlers reichen weit zurück. Zum 80. Geburtstag war das Buch "Ein unwahrscheinliches Leben" von Elmar Kraushaar erschienen, der die Ungereimtheiten in Quinns Lebenslauf zusammengetragen hatte. Nun ist es Quinn selbst, der im Alter von 93, um im Jargon seiner maritimen Lebenserzählung zu bleiben, klar Schiff machen will.
Die Inszenierung des einsamen Einzelgängers
Die erste Biografie, die 1960 unter seinem Namen erschienen war, habe sein damaliger Produzent Olias verfasst. "Ein Einzelgänger sollte ich sein, der von der Unruhe getrieben war, seinen Vater zu finden, der in den USA lebte", schreibt Quinn im Vorwort des neuen Buchs. "Die Weltmeere sollte ich befahren haben, auf der Suche nach Familie und Erfüllung."
Diese Szenen trieben ihm und seiner Frau Rosi heute die Schamesröte ins Gesicht, schreibt er. "Nein, das war keine Sternstunde von mir. Es war furchtbar. Ich hatte nie einen Vater in Morgantown. Ich war nie auf der Suche nach ihm", heißt es weiter in dem Buch, das man in Anlehnung an einen seiner Hits als "Abschied vom Lügenmeer" zusammenfassen könnte.
Die späten Enthüllungen des als Manfred Nidl geborenen Österreichers – auch der Geburtsort ist nicht klar – sind mehr als Selbstanklage, sie richten das Scheinwerferlicht auf diese seine Karriere, aber auch auf eine Ära der deutschen Öffentlichkeit, die von Unaufrichtigkeit geprägt war.
Eine Mutter, die für Nazis arbeitete, passte nicht ins Bild
Der fesche Freddy sollte sich von den älteren Showstars unterscheiden, die noch in den Diensten des Nationalsozialismus gestanden hatten, schließlich galt es, eine junge Zielgruppe zu bedienen. Seine wehmütigen Lieder über Heimatlosigkeit trafen dennoch das Grundgefühl der Vertriebenen und Kriegsheimkehrer, all jener, deren Gewissheiten abhandengekommen waren.
Seine Mutter, die als engste Mitarbeiterin Josef Bürckels wirkte, des "Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich", verantwortlich für die Massendeportationen der Wiener Juden, passt kaum in dieses Bild. In seinem neuen Buch berichtet Quinn lieber über Heldentaten. Für jüdische Nachbarn, die gezwungen wurden, einen Stern zu tragen, habe er "immer zwei, drei leere Kartons im Hausflur gesammelt und ihnen gegeben. Wenn sie die vor sich hergetragen haben, konnte niemand den Stern sehen." Auch die Mama sei eine Art Heldin gewesen, 1941 ins Gefängnis gekommen, weil sie versucht habe, durch Aktenvernichtung die jüdische Ehefrau des Filmstars Hans Moser zu retten.

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Hier kolportiert Quinn erneut eine Version, die nicht den Recherchen von Historikern entspricht. Zumindest passt das Bild nicht zu Edith Nidls Funktion als Mitarbeiterin eines NS-Propagandablatts. Quinn weiß das und schreibt: "Hoffentlich können Sie mir nachsehen, dass ich das gar nicht so genau wissen will."
Freddy Quinn: "Ich wollte niemanden übers Ohr hauen"
Man ließe das einem 93-Jährigen durchgehen, würde er kein Buch veröffentlichen, das "Wie es wirklich war" zum Titel hat.
Zur Lebensbeichte gehört auch das Geständnis, Steuern hinterzogen zu haben. "Für meinen Seelenfrieden ist es entscheidend, dass ich eben nicht böswillig oder geldgierig gehandelt habe, dass ich niemanden übers Ohr hauen wollte", schreibt er.
Das mit dem "Bild"-Reporter Daniel Böcking verfasste Buch erzählt noch einmal die Geschichte seiner Karriere. Parallel zum Erscheinen würdigt das ZDF mit einer Folge von "Terra X History" den Schlagerstar. Darin wird der Kern dieses Erfolgs besser zusammengefasst als im Buch. Was die Fake-Erzählungen nur unzulänglich schafften, gelang Quinn in seinen Liedern durchaus. Selbst seine Fernweh-Schnulzen lassen musikalische Tiefe erkennen. Daran konnte kein Schwindel etwas ändern. Auch seine mutigen Stunts und die Liebe zur Zirkuswelt in zahlreichen Filmen sind unverfälscht, vielleicht sogar als Parallelwelt zur ausgedachten Boulevard-Erzählung, in der er sich oft verhedderte, zu verstehen.

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Die Suche nach dem Vater, den er nie hatte, spielt nun ein letztes Mal eine große Rolle. Die Geschichte um den leiblichen Vater wird um ein neues Kapitel erweitert. Im Abendrot seines Lebens glaubt er, der Wahrheit auf die Spur gekommen zu sein. Die These ist jedenfalls spektakulär und klingt so sehr nach Räuberpistole, dass sie nur wahr sein kann: Im Dezember 1965 hatte sich in Wien ein Drama zugetragen, ein 17-Jähriger war in eine Polizeiwache gelaufen, um die blutrünstige Ermordung seiner Familie zu melden. Wie sich kurz darauf herausstellen sollte, war der junge Mann selbst der Täter.
Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat das Massaker später in ihrem Roman "Die Ausgesperrten" literarisch verarbeitet. Heute ist sich Quinn sicher und leitet dies anhand von Indizien her, dass der abgeschlachtete Vater sein eigener gewesen war, der Mörder also sein Halbbruder.
In diesem Moment will man Freddy Quinn zugestehen, eine alternative Realität bevorzugt zu haben.
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